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AutorenbildDr. Daniel Nummer

Der Mensch im Mittelpunkt und andere Utopien

Aktualisiert: 24. Aug. 2022

Die Zukunft der Arbeitswelt


Julien Lemal und Dr. Daniel Nummer

Warum zum Teufel sollte irgendein Mensch es genießen, morgens in aller Frühe aus dem warmen Bett zu springen, sich anzuziehen, sich kaltes Wasser ins Gesicht zu kippen und sich in einen vollkommen unnötigen Stau zu stellen? Nur um sich dann, am Arbeitsplatz angekommen, vorschreiben zu lassen, was richtig und falsch ist. Sehr häufig leider auch, ohne die eigenen Interessen und Fähigkeiten gezielt und in Eigenverantwortung einsetzen zu dürfen? Ein Einblick in die menschliche Seite des Geschäfts und die Notwendigkeit, unser Verständnis von Arbeitswelt zu renovieren.



Ähnlich wie in einem menschlichen Organismus müssen die einzelnen Organe in einem Unternehmen sinnvoll miteinander in Verbindung stehen – ihre Fähigkeiten sind spezialisiert, doch erst das Zusammenspiel befähigt uns, zu denken und uns erfolgreich anzupassen. Seit die erste Form des Lebens erschien, dauerte es 4,1 Milliarden Jahre Evolution, damit der menschliche Körper, wie wir ihn heute kennen, zu dem wurde, was er ist. 4,1 Milliarden Jahre kontinuierlicher Mutationen, Anpassungen und Verbesserungen, um in einer Welt ständiger Änderung zu überleben. Die Natur hatte bis dato Erfolg – Zeit für uns, die größtenteils noch aus dem Taylorismus stammenden „Organe“ und „Hierarchien“ anzupassen.


„Das haben wir schon immer so gemacht!“

Den Unternehmen könnte das Verständnis helfen, die Digitalisierung nicht als IT-Thema, sondern als „Menschen-Thema“ zu verstehen. Denn wer schlechte Prozesse digitalisiert, der hat am Ende – ganz richtig – schlechte digitale Prozesse. Momentan konzentriert man sich aber häufig zu stark darauf, Menschen und ihr Verhalten zu ändern, indem man ihnen sagt oder sie schult, wie sie sein sollen. Man passt eher Menschen an die Software an, nicht die Software an die realen Bedürfnisse. Dabei ist das Zielbild häufig ungenügend beschrieben oder sogar schon veraltet, da interne und externe Einflüsse die Bedingungen geändert haben. Die Kompetenzen der Einzelnen werden nur teilweise wertgeschätzt und „angezapft“. Das demotiviert. Die gleichen Menschen, die häufig durch diese Vorgehensweisen zur Unselbstständigkeit „erzogen“ wurden, sollen nun aber die Pläne selbstständig umsetzen.


Im Alltag ist es häufig nicht so einfach, die Wirkungen des selbstständigen Handelns abzusehen. Wenn wir A machen, geschehen B, C und D und weil C geschieht, geschieht auch noch E und spätestens dann verlieren wir den Überblick über die Wirkung unseres Handelns. Alles, was wir machen, ist verknüpft mit so vielen anderen Dingen, die kurz davor, kurz danach oder sogar gleichzeitig mit unserem Tun geschehen, das eine sichere Planung nahezu unmöglich wird. Leider werden die Abhängigkeiten im beruflichen Alltag nicht immer und nur unzureichend wahrgenommen. Damit die Kontrolle des Systems einfacher wird, sind wir es gewohnt, nur eine Teilaufgabe der Wertschöpfung zu sehen und zu erledigen. Wir denken sehr stark in „Abteilungen“. Daher muss die Führung zukünftig sehr feine Antennen entwickeln und wahrnehmen, welches die Treiber und Barrieren für eine erfolgreiche Umsetzung sind und entsprechende Verantwortlichkeiten fair auf viele Schultern verteilen.




Da haben wir nun den Salat!

Um Verantwortung zu verteilen, muss man einen Teil davon abgeben und das führte bisher nicht unbedingt zu Bestnoten für Führungskräfte. Ganz im Gegenteil. Wir haben eine „Kultur der Supermänner und Superfrauen" geschaffen und diese sollen gefälligst immer beste Entscheidungen für alle treffen – auch wenn die Welt und die Unternehmen immer komplexer agieren.


Die Beziehungen zwischen Menschen reduzieren Komplexität, Fehleinschätzungen und Kosten

Es ist weitgehend die Art der Interaktionen zwischen Individuen, Gruppen, Führungspersonen und der Umwelt, die die vorherrschende Kultur bestimmen. Wenn wir zum Beispiel mehr Innovation in unseren Organisationen haben wollen, sollten wir mit höchster Priorität daran arbeiten, die Art und Weise zu ändern, wie Menschen und Dinge miteinander verbunden sind. Die Art ihrer Interaktionen (z. B. wie wir Meetings durchführen), hat einen größeren Einfluss auf uns als der Versuch, Menschen zu schulen, kreativer oder kollaborativer zu sein.

Werden Mitarbeitende in die Entscheidungsfindung stärker involviert, wird ihr Bewusstsein für das Gesamtbild und die Rolle, die sie einzeln und/oder kollektiv spielen können und sollen, erweitert. Damit werden ihre Bereitschaft und ihr Engagement gestärkt. Notwendiger Wandel wird plötzlich verständlich und machbar. Dieser Mentalitätswandel und die damit verbundenen Verhaltensweisen werden nicht nur durch eine Steigerung des Wohlbefindens und des Engagements der Mitarbeiter belohnt, sondern auch durch die Verbesserung der Effektivität und damit der Produktivität der Teams in der Organisation!


Organisationen denken nicht. Jedoch denken sie nicht, weil sie es nicht wollen, sondern weil sie es nicht können! Daher müssen Menschen dies tun. Da gibt es Menschen, die unabhängig von ihrer Abteilungszugehörigkeit besonders kreativ, umsetzungsstark oder ausdauernd sind, andere sind neugierig, starke Netzwerker oder Analytiker. Die Geschäftsführung und der Führungskreis sollten diese Merkmale der Teams kennen und versuchen, sie optimal einzusetzen. So entsteht produktive soziale Interaktion, die bisher nicht visualisiert oder ausreichend verstanden wird, die aber in der Praxis einen massiven Einfluss auf den Unternehmenserfolg hat.


Es geht darum, ein dynamisches, sich in ständigem Wandel befindliches, aus Menschen bestehendes System objektiv zu bewerten. Danach können Rückschlüsse für die eigene und die Unternehmensentwicklung getroffen werden, um die Wahrscheinlichkeit auf Erfolg zu steigern. Hier haben Unternehmen ein riesiges Potenzial zu heben. Denn eine förderliche Interaktion von Menschen reduziert die Komplexität, reduziert Fehleinschätzungen, Fehler und damit auch Kosten.


Unternehmen müssen den menschlichen Austausch visualisieren – dann wissen sie was zu tun ist

Ein Schlüssel dafür ist die Analyse des "Organisationsverhaltens" – das Wissen darüber, wie Menschen, Führungskräfte und Teams sich verhalten und interagieren – wie die optimale subjektive Ordnung in einem organisationalen Kontext aussehen kann und woran sie sich dabei orientieren soll.



Das Erkennen des Organisationsverhaltens liefert „Organisationsdesigns“, die die Menschen, ihre Bedürfnisse und Ideen, ihre Kompetenzen und Fähigkeiten und ihren Austausch visualisieren. Denn nur, wenn sich die Organisationsmitglieder tatsächlich förderlich verhalten, förderlich interagieren, ihre Verhaltensweisen hin und wieder anpassen, hat die organisationale Entwicklung Aussicht auf Erfolg. Darüber hinaus wird durch die Überwachung des Fortschritts, durch die Bewertung der Auswirkungen und gegebenenfalls durch Anpassung neuer Maßnahmen sichergestellt, dass sich das gesamte Organisationsverhalten kontinuierlich auf ein gesünderes Niveau entwickelt.


Es ist daher unbedingt erforderlich, dass diese Dynamik zwischen Menschen sowie deren zentrale und dezentrale Steuerung gut beherrscht wird. Einige renommierte Autoren wie Otto Sharmer oder Frederic Laloux sprechen von einem „System, das sich selbst wahrnimmt“. Dies bedeutet, dass das System, das im Fall von Organisationen, Einzelpersonen, Teams, Führungskräfte und Abteilungen umfasst, sich seines Zustands bewusst werden muss. Durch das Erkennen von Verhaltensweisen und der Qualität der Interaktionen kann die Zusammenarbeit und Produktivität förderlich gesteuert werden.

Mit anderen Worten: Die Entwicklung einer Sensibilität für individuelle und kollektive Zwecke ist dringend notwendig. Diese Sensibilität fördert ein gemeinsames Verständnis dafür, dass jeder für das Ergebnis verantwortlich ist. Egal, ob es die Qualität eines Produkts oder eine erbrachte Dienstleistung betrifft, die Atmosphäre und die Kultur am Arbeitsplatz oder noch darüber hinaus die möglichen Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesellschaft.

Jedes Unternehmen, ob klein oder groß, sollte seine Organisation in vier Dimensionen begreifen:


1 Individuelle Passung – Mensch, Aufgabe, Fähigkeit, Interesse

2 Zusammenarbeit – Kommunikation, Interaktion, Austausch, Vertrauen

3 Führungsverhalten – situativ förderliche Steuerung und Anleitung

4 Werte – Sinn der Normen und Regeln im Unternehmen


Ein Einblick in den „Faktor Mensch“ des Unternehmens, bringt Treiber und Barrieren schneller zum Vorschein. So könnten Produktivität und Zufriedenheit gesteigert werden. Die Interaktion von Führungskräften und Mitarbeitenden wird nachhaltig und wertschöpfender. Daraus ergibt sich ein organisatorischer Kreislauf, der Umsatz und Gewinn steigern kann und Kosten reduziert. Indem Unternehmen einen kontinuierlichen Überblick erhalten, können sie ihre Entwicklung systematisch und auf den unterschiedlichen Ebenen angehen. Organisationen werden dann eine Kultur schaffen, in der sich jede Person, jedes Team und jeder Manager, in seinem eigenen Tempo zum Wohle aller entwickeln kann.


Wenn die Bedürfnisse eines jeden, aber auch ihre Verantwortung von und für die gesamte Organisation als gleich wichtig angesehen werden, dann wird ein tugendhafter Kreis entstehen und sich selbst anfeuern. Dies wird die Grundlage einer lebendigen Organisation sein. Und der Boden unserer zukünftigen Zivilisation – denn Verhalten schafft Verhältnisse.

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